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Vor der Erweiterung der Europäischen Union...

Eine zukünftige Erweiterung der Europäischen Union wird als unausweichlich und unumgänglich dargestellt, da räuberische Mächte an den Grenzen Europas lauern und sich freuen würden, Europa zu schwächen.

Angesichts dieses Drucks werden immer mehr Vorschläge zur Reform der europäischen Institutionen gemacht, wobei ein faktischer Konsens darüber besteht, dass diese unerlässlich sind.

So haben der Ausschuss für konstitutionelle Fragen des Europäischen Parlaments, dann eine deutsch-französische Expertengruppe und schließlich eine Gruppe herausragender europäischer Persönlichkeiten, deren Ansichten in einem "Manifest" zusammengefasst sind, ihre Vorschläge zur Änderung der europäischen Verträge vorgelegt.

Alle diese Vorschläge sind interessant. Haben sie eine Chance, angenommen zu werden? Sind die Mitgliedstaaten in der Lage, die EU-Verträge zu reformieren? Leider ist nichts weniger sicher als dies.

Im Übrigen braucht die Europäische Union alles andere als eine institutionelle Debatte mit ungewissem Ausgang. Und auch wenn eine Neufassung der Verträge offensichtlich notwendig ist, muss sie zunächst ihren Mehrwert in ihrer täglichen Arbeit besser unter Beweis stellen.

Noch bevor man von hypothetischen institutionellen Entwicklungen spricht, könnten bereits Reformen in der Arbeitsweise der europäischen Institutionen beschlossen werden, die eine Klärung und neue Praktiken verdient.

Gerade im wirtschaftlichen Bereich muss die Europäische Union ihre Anstrengungen beschleunigen. Ein Wachstumsdefizit kann erhebliche soziale und politische Folgen nach sich ziehen. Das demografische Defizit kann dazu führen, dass Europa schneller als jeder wirtschaftliche Wettbewerber zurückfällt. Es wirft auch die Frage nach einer geburtenfreundlicheren Politik und bezüglich der Einwanderungsproblematik auf. Dies sind dringende Anliegen für die Kommission, die sich auf diese Ziele konzentrieren sollte. Außerdem muss man ihr bei diesen Themen zugute halten, dass die Kommission in diesem Bereich gut arbeiten kann.

Die geopolitischen Herausforderungen sind enorm, da die Kriege immer näher an das europäische Territorium heranrücken und die internationale Architektur der Jahre 1945-1950 Tag für Tag bröckelt.

Die Fortschritte der Europäischen Union in den Bereichen Außen- und Verteidigungspolitik werden ohne die Beteiligung und das Engagement der Mitgliedstaaten nicht weiter voran kommen. Dies ist eine Lektion, die uns Robert Schuman hinterlassen hat.

Um der sich verschärfenden internationalen Lage zu begegnen, sollte das auswärtige Handeln der Europäischen Union von der Kommission unabhängig sein und alle Dienststellen, die dazu beitragen, einem gemeinsamen diplomatischen Dienst zugeordnet werden, der zunächst dem Europäischen Rat untersteht. Der Hohe Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik würde dadurch Vorrechte gewinnen und der derzeitige Inhaber dieses Amtes, Josep Borrell, hat bewiesen, dass es eine starke europäische Stimme geben kann, wenn sie nur einzigartig ist.

Denn die Streitereien zwischen den Institutionen sollten angesichts des Ernstes der internationalen Lage verblassen.

Wenn das Europäische Parlament wirklich der legitime Vertreter des Volkswillens der Europäer sein will, muss es akzeptieren, dass seine Repräsentativität eines Tages wirklich demokratisch sein wird und dass ein Europaabgeordneter in Malta die gleiche Anzahl von Bürgern vertritt wie in Deutschland. Leider ist dies bei weitem nicht der Fall. Es würde jedoch an Legitimität gewinnen, insbesondere bei den europäischen Verfassungsgerichten, und könnte sich dann freier um Souveränitätsfragen wie die Außenpolitik oder die Verteidigung kümmern. In der Zwischenzeit sollte sich das Parlament nicht in die Lösung der großen strategischen Fragen einmischen, die Europa bewältigen muss und für die die Mitgliedstaaten verantwortlich sind.

Die Kommission ihrerseits sollte sich nicht in die Außenpolitik einmischen und nicht länger zur Vermischung der Interessen mit den Staaten beitragen, die berechtigt sind, den schwierigen Übergang von allzu zerstreuten nationalen Politiken zu einer unerlässlichen europäischen Zusammenarbeit selbst zu organisieren, insbesondere auf demokratischer Ebene. Indem die Kommission in die Vorrechte der Staaten eingreift, die sich gegen diese Eingriffe wehren, trägt sie nicht zu einer gemeinsamen Außen- und Verteidigungspolitik bei.

Die Staaten sollten ihrerseits neue Formeln für eine engere Zusammenarbeit bei diesen grundlegenden Themen erdenken. Ein Verteidigungsrat? Ein Organ, das für ihre kollektive Sicherheit zuständig ist? Ein zwischenstaatliches Abkommen, das ihre Solidarität stärkt? Aus der Not heraus könnten mehrere Dinge entstehen.

Viele dieser Entwicklungen wären eher eine Änderung der derzeitigen Praxis als eine Reform der Verträge. Viele von ihnen wurden identifiziert, die die europäische Governance betreffen. Sie würden zu einer besseren Wirksamkeit der europäischen Politik beitragen und vor allem durch die Klarstellungen, die sie mit sich bringen würden, das Gefühl der Bürger stärken, einem effizienten politischen Gebilde anzugehören, das auf der internationalen Bühne Gewicht hat und handlungsfähig ist.

Noch vor einer Vertragsrevision könnten daher eine echte Überprüfung im Detail und Veränderungen in der täglichen Praxis der europäischen Verantwortlichkeiten die Europäische Union am besten auf ihre mögliche Erweiterung vorbereiten.
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