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Europa und die russische Erpressung

Nur weniger als 10% seiner Landesgrenzen teilt Russland mit NATO Mitgliedsstaaten. Mit der Europäischen Union sind es sogar noch weniger gemeinsame Grenzen. Kein Grund, sich eingekreist zu fühlen!

Im Gegensatz zu seiner Propaganda sind es nicht die militärischen Drohungen, die Russland beunruhigen. Niemand will das Land angreifen. Es ist hingegen die Präsenz eines friedlichen, reichen und demokratischen Großraums an seinen westlichen Grenzen, die das russische Versagen deutlich macht.


Vor der Ukraine-Krise kamen fast 40% der ausländischen Besucher des Schengen-Raums aus Russland. Die russische Mittelschicht entdeckte im Schengen-Raum Wohlstand und Freiheiten, sodass das Regime beunruhigt war und immer weiter in Richtung Diktatur und Nationalismus gedrängt wurde.


Mit dem offiziellen Ziel, den Sturz des kommunistischen Totalitarismus vor 30 Jahren zu leugnen, hofft Wladimir Putin, die wahrlich empfundene Demütigung seiner Landsleute ausnutzen und ein wenig von ihrer Unterstützung zurückgewinnen zu können.


Das größte Land der Welt, in dessen Untergrund alle in dem Periodensystem von Mendelejew aufgeführten Mineralien vorkommen, weist ein Bruttoinlandsprodukt von 1,3 Billionen € auf, das nur wenig höher ist als das von Spanien (1,122); dies lässt eine echte Armut der Mehrheit seiner Bevölkerung erkennen (8,846 € Jahreseinkommen pro Einwohner gegenüber 23,700 € in Spanien). Außerdem ist die Verteilung des Reichtums unerhört ungleich: 10 % der Russen verfügen über 80 % des BIP.


Indem Putin mit Ängsten spielt, indem er die Gespenster der schlimmsten Stunden der russischen Geschichte - Gulag und Vernichtung, die einst durch einen blinden Terror geschaffen wurden, auf den es keinen Grund gibt, stolz zu sein - wieder aufleben lässt, indem er die Gefahr einer Rückkehr zu einem Eisernen Vorhang, der errichtet wurde, um die Flucht seiner eigenen Mitmenschen zu verhindern, aufkommen lässt, will Putin die Geschichte neu schreiben. Die Zeitschrift Svpressa formulierte es so: "Wirtschaftlich kann die Russische Föderation nicht mit dem Westen konkurrieren. Es bleibt nur der Krieg".


Das wird ihm nicht gelingen, denn ganze Völker werden nicht vergessen, dass sie unter einem russischen Syndrom gelitten haben, das sich nicht geändert hat: Obgleich unter dem Zar, den Kommunisten oder unter dem KGB, Russland ist immer nationalistisch, expansionistisch und revisionistisch.


Indem Putin den Dialog mit den Amerikanern statt mit den Europäern führen will, glaubt er, in der Liga der Großen mitzuspielen, arbeitet aber gegen die Interessen seines Landes. Die Amerikaner interessieren sich nicht für einen fernen Gegner, der ihnen manchmal gelegen kommt, während die Europäer zu einem zwar entschlossenen, aber glaubwürdigeren und friedlicheren Dialog im gemeinsamen Interesse des Kontinents bereit wären. Sie haben dies kollektiv bei sehr vielen Gelegenheiten versucht, aber die Russen haben die Gespräche zum Scheitern gebracht, weil ihr Hauptfeind ein vereintes Europa ist, das sie ständig auf ihr wahres weltpolitisches „Gewicht" hinweist.


Sie haben nicht die Mittel, Europa zu besiegen; sie können versuchen, es zu spalten, es zu provozieren, es zu destabilisieren, es durch die Korruption eines unverantwortlichen Teiles der  Elite zu infizieren, die hier und da begrenzte Gelder annehmen, aber sie können es nicht beherrschen.

Daher ist es nicht falsch, dass die Europäer angesichts des erbärmlichen Gestikulierens des Putin-Regimes und seiner tatsächlichen Fähigkeit, Schaden anzurichten, eine "Politik der Daunendecke" betreiben. Das bedeutet jedoch, dass sie sich einig sein, wachsam sein und sich wieder aufrüsten müssen. Die Bereitschaft, für das zu kämpfen, was sie aufgebaut haben, ist der beste Weg, dies nicht tun zu müssen. Die Europäer sollten dies verstehen und sich von nun an um ihre gemeinsame Verteidigung kümmern.
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