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Das Recht, das stört

Es gab viele Kontroversen über die europäischen Richter, die angeblich die "juristische Souveränität" der EU-Mitgliedstaaten untergraben.

Diese Richter unterstehen zwei verschiedenen Gerichtsbarkeiten: dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), der über die Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention urteilt, die 1953 in Kraft trat und die für die 47 Mitgliedstaaten des Europarats gilt, und dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH), der über die Einhaltung der europäischen Verträge urteilt und somit die Handlungen der europäischen Institutionen und der 27 Mitgliedstaaten beurteilt. Beide Gerichte können von Staaten und Einzelpersonen angerufen werden. Die Urteile des EGMR sind für die Staaten verbindlich, die des EuGHs für die Staaten und ihre nationalen Gerichte, für die der EuGH auch die gemeinsamen Regeln auslegt.

Diesen Gerichten wurden diese Befugnisse durch Verträge eingeräumt, die von den beteiligten Staaten regelmäßig ratifiziert wurden. Sie handeln nur aufgrund von Befugnissen, die ihnen freiwillig und ausdrücklich übertragen wurden.

Das polnische Verfassungsgericht hat vor kurzem die Zuständigkeit des EuGHs und den Vorrang des EU-Rechts mit der Begründung angefochten, dass seine Entscheidungen oder bestimmte Vertragsbestimmungen gegen die nationale Verfassung verstoßen. Das deutsche Bundesverfassungsgericht hatte einmal mit der gleichen Argumentation geliebäugelt. In Frankreich entfesselt das Herannahen der Präsidentschaftswahlen die Demagogielogik derjenigen, die für einen "Verfassungsschutz" oder den Vorrang des nationalen Rechts vor dem europäischen Recht eintreten.

Wenn Verträge über den Gesetzen stehen, so sind sie jedoch unterhalb der Verfassungen angesiedelt. Sie respektieren die "verfassungsmäßige Identität der Staaten". Wenn ein Staat sich entscheidet, einen Vertrag zu unterzeichnen oder einem europäischen Text zuzustimmen, muss er sich verpflichten, diesen anzuwenden und gegebenenfalls seine Verfassung oder seine Gesetzgebung anzupassen. Dies ist der Weg, um die Reziprozität der Partner zu gewährleisten.

Diese Verträge stärken die individuellen und kollektiven Rechte. Sie schützen die Bürger, auch vor ihren eigenen Regierungen oder nationalen Gesetzen, die die Freiheiten bedrohen.

Es ist ein schwerer Fehler, Richter anzugreifen und nicht die Gesetze, die sie auslegen. Das ist es, was autokratische Regime wie Russland oder die Türkei gewöhnlich tun, indem sie sich weigern, Entscheidungen umzusetzen, die ihre Gegner schützen.

In diesen Debatten geht es um den Schutz der Menschenrechte* im engsten Sinne. Sie sollten nur mit äußerster Vorsicht angefasst werden, und es ist gefährlich, sie in der Wahldebatte zu instrumentalisieren.

Auch wenn das Recht manchmal stört, schützt es meistens! 



*(und nicht "menschlichen Rechte", die es ebenso wenig gibt wie unmenschliche Rechte!)
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