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Mamma Li Turchi!

Dieser Ausdruck entstammt einem sizilianischen Dialekt und bedeutet "Katastrophe", etwa vergleichbar mit dem Ausruf  "Mamma mia"! Er ist auf die im 16. und 17. Jahrhundert von barbarischen Piraten an der Mittelmeerküste begangenen Überfälle zurückzuführen. Diese Freibeuter zollten dem Sultan Tribut. Die Ankunft der Barbaren an den Ufern läutete Schrecken, Plünderungen, Massaker an Männern, sowie Entführung von Frauen und Kindern ein, um die Harems und die Reihen der Janitscharen zu füllen.

Genau diese Uniformen der Janitscharen tragen die Wachen im neuen prächtigen Palast des derzeitigen türkischen Präsidenten. Der nationalistische Kurs des Präsidenten ist in vielen Bereichen sichtbar. Erdogan verweist  mit vielen Filmen, Slogans, Klischees und Ressentiments auf die "glorreiche Geschichte" des Osmanischen Reiches. Erdogans Türkei hat die Lehren von Mustafa Kemal aufgegeben. Obwohl dieser nicht weniger nationalistisch war, behauptetet er dennoch: "Die Zivilisation liegt im Westen", und  gab seinem Land eine entschieden säkulare und pro-westliche Orientierung.

War diese Politik die Quelle einer Demütigung, von der wir wissen, dass sie immer noch die schlimmsten Gefühle von Rache, Vergeltung und Gewalt unter den Völkern nährt? Im Laufe des 20. Jahrhunderts glänzte die Türkei nicht mit der Wahl ihrer Bündnispartner und fand sich am Ende häufig auf der falschen Seite, also auf der Seite der Verlierer wieder. Heute steht die Türkei auf der Seite der Bruderschaften, die alle arabischen Regime destabilisieren, sie will der Retter der enttäuschten Muslime sein und nährt expansionistische Ambitionen in alle Himmelsrichtungen.

Es stellt sich wieder einmal die "türkische Frage", die natürlich die NATO betrifft, vor allem aber Europa und den Mittelmeerraum. Die Europäer werden Wege finden müssen, die es ermöglichen, die Aggressionen der Türkei einzudämmen, um sie zu Gesprächen mit ihren Partnern zu bewegen, bevor das Vorgehen immer brutaler wird. Die Europäer sind geteilter Meinung, in Bezug auf die Antworten, die zu geben sind. Die Franzosen zeigten sich sofort solidarisch mit Griechenland und Zypern, deren internationale Seerechte missachtet wurden, während die Deutschen lieber versuchen, zu vermitteln, indem sie den "ehrlichen Makler" spielen. Die Kombination der beiden Ansätze  war nicht nutzlos und könnte zu einer Verhandlungslösung in der Ägäis beitragen.

Andererseits ist Ankara sowohl in Syrien, wo die Türkei eine große Verantwortung gegenüber den Kurden trägt, als auch in Libyen oder Berg-Karabach ein destabilisierender Akteur, der die Spannungen verstärkt und auf die schlimmsten Mittel zurückgreift (Milizen, bewaffnete Interventionen usw.).

Dieser überstürzte Vorstoß wird nicht allein durch den guten Willen interessierter Diplomaten gestoppt werden. Europa ist wieder einmal mit seinem ursprünglichen Dilemma konfrontiert: Da es weder ein Staat noch ein Imperium ist, das durch und für den Frieden aufgebaut wurde, gehören Gewalt-, Kraftanwendung und Konfrontation nicht zu seiner Software. Niemand will Europa in Konflikte hineinziehen. Die Konflikte sind es, die sich Europa nähern, und sie kommen der Union immer näher. Die EU muss reagieren, bevor sie dazu gezwungen wird. Die Haltung gegenüber diesem gefährlichen und turbulenten Nachbarn wird der erste Test für die europäische Entschlossenheit sein.
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