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Europäische Institutionen: Zurückhaltung ist angebracht!


Die Akteure müssen sich beruhigen und mehr für das Gemeinwohl als für ihre politischen Ziele allein arbeiten. Die sehr großen externen Herausforderungen, vor denen Europa steht, erfordern dies.

Es besteht die Möglichkeit, dass die neuen europäischen Institutionen nicht wie geplant am 1. November ihre Arbeit aufnehmen können, weil es Praktiken gibt, die viele Probleme mit sich bringen. Dafür sind das Parlament, die Kommission und die Mitgliedstaaten verantwortlich.

Die unglückliche Episode der Ernennung künftiger Mitglieder der Europäischen Kommission ist ein Beispiel dafür. Mit dem Wunsch, den Präsidenten der Europäischen Kommission zu ernennen, haben die Abgeordneten die Verträge zu ihrem Vorteil ausgelegt. Die Parlamentarier behalten sich das Vorrecht vor, dass "die Ergebnisse der Europawahlen von den  Staats- und Regierungschefs berücksichtigt werden“. Dies wurde bei der Wahl von Ursula von der Leyen berücksichtigt. Die Staats- und Regierungschefs haben ein Mitglied aus der stärksten Fraktion im Europäischen Parlament ernannt. Weiterhin zu fordern, dass sich zukünftige Kommissare „konfessionellen“ Prüfungen unterziehen, die kein demokratisches Parlament der Welt, vernünftigerweise, vorschreibt, war übertrieben. Die Ablehnung eines rumänischen und eines ungarischen Kandidaten, ohne auch nur ein mündliches Verfahren, ist mit dem Rechtsstaatlichkeitsprinzip nicht - würdevoll - vereinbar. Das Parlament erweckt durch sein Handeln, aber auch durch sein internes Management, den Eindruck, dass es der Schmelztiegel der politischen Interessen ist. Jedoch ist man dabei, sich von den wahren Herausforderungen, die vor uns liegen, weit zu entfernen. Bei der Eroberung neuer Macht passiert es, dass das Parlament die Sache der Union vernachlässigt.

Indem sie die Europäische Kommission in ungleiche Verwaltungseinheiten zerpflückt, überschreitet die Kommissionspräsidentin ihre Befugnisse und geht das Risiko ein, eine Organisation leiten zu müssen, die jetzt unregierbar ist. Neben den Vizepräsidenten gibt es jetzt Super-Vizepräsidenten, die sogar Nummern haben, und die Autorität über die mächtigen Generaldirektionen haben, die die anderen Mitglieder, des so genannten Kollegiums, dazu animiert, eher zu schweigen.

Es stimmt, dass die Staats- und Regierungschefs eine Bestimmung des Vertrags ausgesetzt haben, die die Zahl der Kommissare auf die wenigen ausschließlichen Zuständigkeiten der Union reduziert. Es ging darum, Irland im Jahr 2008 davon zu überzeugen, den Vertrag von Lissabon zu ratifizieren. Durch die Aufteilung der Portfolien auf die Mitgliedstaaten verraten sie auch ein sehr schlechtes Verständnis für die Funktionsweise der Union und dies führt zu einem Vertrauensverlust zwischen den Partnern. Darüber hinaus dürfen die europäischen Normen nicht niedriger sein als die nationalen, und wenn man der Meinung ist, dass eine Person keine nationale öffentliche Verantwortung übernehmen kann, sollte sie diese auch nicht in Brüssel übernehmen oder eine Nominierung akzeptieren. Sylvie Goulard hat den Preis dafür gezahlt.

Ehemalige Mitglieder der Europäischen Zentralbank, die wahrscheinlich von rückwirkendem Mut und einem ängstlichen Sparinteresse getrieben werden, nehmen sich die Freiheit, ihre Politik öffentlich in Frage zu stellen, das Risiko einzugehen, sie zu schwächen und ein Europa weiter zu spalten, das nicht auf den Ordoliberalismus reduziert ist. Vielen Dank für Christine Lagarde, die am 1. November die Präsidentschaft übernimmt!

Es ist höchste Zeit, dass alle Akteure den Inhalt und den Geist der Verträge wieder entdecken, die die Regel bleiben müssen. Das europäische Verfassungsrecht wird nicht nur in der Praxis, im politischen Gleichgewicht oder in "interinstitutionellen Vereinbarungen" geschrieben, wie diese endlosen Verhandlungen zeigen, die das Parlament und die Kommission wieder einmal dazu bringen werden, einige neue Dinge zu erfinden. 

Das passiert, wenn wir uns weigern, Verträge zu ändern, die eine gründliche Überarbeitung verdienen. Es ist dringend geboten, die europäische Governance zu ordnen und vor allem für diejenigen, die Europa tagtäglich verwirklichen, den Geist des Vertrauens und der Zusammenarbeit wieder zu entdecken, der im Laufe der Zeit in den politischen Spielen etwas beschädigt wurde. Die Abgeordneten denken, dass sie wie die Volksvertreter im amerikanischen Parlament sind; jedoch sind sie nicht wie diese. Die Staatschefs denken und handeln weiterhin so, als wäre die europäische Integration eine diplomatische Angelegenheit und sprechen meist über Botschafter miteinander. Die Kommission ist keine Exekutive wie jede andere und vor allem keine Regierung des gemeinsamen Rechts, die die von ihr festgelegten Regeln anwendet.

Die Union wird ihrerseits eine umfassende Debatte eröffnen müssen, um die Hypothek vieler Hintergedanken aufzuheben. Von der umstrittenen Wirtschaftspolitik bis hin zur institutionellen Governance gibt es in der Tat noch viel zu tun. In der Zwischenzeit sollte jeder seine Rolle respektieren und dem Wohl einer Union, die eine Gemeinschaft bleiben muss, Vorrang einräumen.

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