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Europas Machtprobe

 Die Europäische Union ist das Gegenteil eines Reichs. Errichtet, um der Gewalt auf unserem Kontinent Einhalt zu gebieten, hat sie ihn nachhaltig befriedet und so sehr zivilisiert, dass nicht wenige daraus eine gewaltige Abneigung gegen sie schöpfen. Doch hat sich die Welt nicht überall wie in Europa entwickelt. Und während die Union sich für Multilateralismus und internationale Organisationen, für Dialog und Frieden einsetzt, bewahren sich andere Akteure andere Überzeugungen und glauben alleine an das Verhältnis der Kräfte. Die neuen Aufsteiger und die alten Revisionisten, die nostalgisch auf ihren einstigen Status blicken, sie zeigen ihre Muskeln, benutzen sie manchmal, wenn auch noch mit Vorsicht. Das Gleiche gilt für die Nationalisten, die sich am liebsten hinter ihren Grenzen abnabeln möchten.

Auch Europa muss lernen, über sich als Macht nachzudenken, seine Interessen in der Welt zu verteidigen und zu mehren. Gerade vor dem Hintergrund unterschiedlicher Erfahrungen und Traditionen fällt dies nicht leicht. Aber Europa organisiert sich. Neue Handelsschutzinstrumente haben vor kurzem das Licht der Welt erblickt, die es Europa erlauben, schneller und effektiver auf Dumping zu reagieren. Das war auch nötig für den chinesischen Stahl. Ebenso gegenüber den amerikanischen Aggressionen hat sich die Union auf eine Antwort verständigt. Sie kann sich in dieser Frage nicht die kleinste Schwäche erlauben. Konkrete Maßnahmen werden in dieser Frage bald ergriffen werden. Schwieriger ist das Feld der Extraterritorialität, die der Durchsetzung außenpolitischer Interessen dient. Zahlreiche europäische Unternehmen haben darunter bereits gelitten und vieles lässt erwarten, dass Europa hier reagieren wird. Bleibt das Feld der Verteidigung. Auch hier gibt es gewisse Hoffnungsschimmer, die dafürsprechen, dass Europa seine Macht, und damit seine Unabhängigkeit, vollumfänglich anzunehmen und die Kräfte der Mitgliedstaaten zu bündeln bereit ist.

Der Weg wird nicht einfach, weil sich Europa lange in seiner komfortablen Situation eingerichtet und auf andere verlassen hat. Nun hat es aber keine Wahl mehr. Europa muss diese Machtprobe gewinnen. Es hat die dazu nötigen Mittel. Was ihm fehlt, ist der Wille.
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