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Europa und die Macron-Lektion

Es ist keineswegs ein Zufall, dass Emmanuel Macron in den Vereinigten Staaten als Anführer Europas empfangen wird.

Seit seiner Wahl vor einem Jahr, die Frankreich vor einer populistischen Katastrophe bewahrte, die andere nicht abzuwehren wussten, ist Macron nicht müde geworden, dem alten Kontinent jene Generalüberholung vorzuschlagen, die er nötig hat. Indem er Reformvorschläge unterbreitete, daheim mit gutem Beispiel voranging und eine intelligente, entschlossene und offene Diplomatie entwickelte, die mit allen redet ohne leichtfertig etwas preiszugeben, hat er das europäische Ruder bereits herumgerissen und die Debatten sind nicht mehr die gleichen. Wenn er sich die aseptischen Europadebatten der Vergangenheit zur Brust nimmt und den traditionellen Konservatismen den Kampf ansagt, dann verkörpert er durch seinen unbändigen Willen ein Europa, das sich bewegt.

Denn Untätigkeit ist für den Kontinent keine Option.

Der Euro muss zukunftsfest gemacht und durch mehr Solidarität unter seinen Mitgliedstaaten angereichert werden, die sonst in Krisenfällen durch ihre eigenen Interessen stranguliert würden. Sicherheit und Verteidigung des Kontinents sind zu Forderungen der Bürger geworden, die die Staaten aufnehmen und nicht auf die lange Bank schieben sollten. Die Migrationsfrage ebenso wie die soziale sind unausweichlich. Europa muss sich als Macht begreifen und auf internationalem Parkett auch so handeln, seine eigenen kulturellen, ökonomischen und politischen Interessen verfolgen. Das ist es, was seine Bürger erwarten.

Man kommt nicht umhin festzustellen, dass die Aufgaben nicht leicht werden für den jungen französischen Präsidenten, der im besten Falle die Kommentatoren anstachelt und im schlechtesten die nationalen Rechnungen seiner Amtskollegen durchkreuzt. Das Europäische Parlament konnte ihm nur den roten Teppich ausrollen, doch die politische Schwere hat letztlich die Oberhand gewonnen. In der Innenpolitik ist dies normal, auf europäischer Ebene hingegen kann man sich dies nicht wünschen. 

In der Rückschau lässt sich leicht erkennen, dass nur die wahren Staatsmänner das Ausmaß jener europäischen Herausforderungen erkennen konnten, die – um im heutigen Sprachgebrauch zu bleiben – „disruptiv“ genug waren, um wahre Fortschritte zu ermöglichen. Zu ihnen zählten Robert Schuman, Jean Monnet und ihre Nachfolger. Mit Erfolg.

Die vom französischen Präsidenten vorgeschlagenen europäischen Ziele bieten der Europäischen Union Auswege aus den der eigenen Zurückhaltung geschuldeten Problemen.  

Zaghaft und ständig an den Politiken der Union wie ihren Institutionen herumnörgelnd, tragen die Regierungen und die europäischen Parteien die Hauptverantwortung für das Chaos. Nun sehen sie sich einer Inspirationsquelle gegenüber, die sie an die Gründerväter erinnert und überall Unterstützer findet, auch und besonders außerhalb der Grenzen der Union.

Erwarten sie nun von Frankreich den Zorn, dessen das Land sehr wohl fähig ist, und der das mühsam errichtete Gebäude zum Einsturz brächte?

Emmanuel Macron hat ein ehrliches, ein couragiertes Spiel gespielt. Er möchte sein Land, aber auch Europa verändern und hat sich dafür ein Mandat verschafft. Ihn davon abzuhalten, hieße quasi Suizid zu begehen und zu belegen, dass sich die Europäer auf ihren Lorbeeren ausruhen. Der Skeptizismus, der der Energie Macrons entgegenschlägt, scheint von Missgunst geprägt, doch zumindest ist die Debatte losgetreten.

Bleibt das deutsch-französische Paar. Wird es sich der Aufgabe als gewachsen herausstellen? Die Signale von der anderen Seite des Rheins scheinen nicht sehr positiv. Wieso etwas ändern, wenn alles gut läuft? Ganz genau, weil das nicht anhalten wird! Wie kann man dies auf Deutsch übersetzen, um die größte Volkswirtschaft Europas von der Verwundbarkeit zu überzeugen, die sie mit ihren Nachbarn teilt? Selbst Deutschland muss einsehen, dass sich seine geostrategische Umgebung im Wandel befindet.

Die Stunde für Bewegung und Anpassung ist gekommen. Den Europäern bleibt nur wenig Zeit, um ihre Einsicht zu zeigen. Umso besser, wenn sie der Staatschef des Gründerstaats der EU ein wenig wachrüttelt. Er spielt damit seine Rolle und die seines Landes. Das ist bereits ein echter Erfolg. Lassen Sie uns hoffen, dass sich andere daran ein Beispiel nehmen, anstatt sich ihm entgegenzustellen. Nur dann sind echte Debatten möglich und wenn die Zeit für Kompromisse gekommen ist, dann wird man sie finden.
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