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Luftverkehr: Das Europäische Parlament unter Zugzwang zwischen Naivität und Souveränität

Naïveté ou souveraineté?

Man hat mir gelegentlich angekreidet, ich würde nicht genügend Beispiele benutzen, um meine Ideen zu veranschaulichen. Nun also folgt ein Beispiel, das meinen Standpunkt untermauert, dass die Europäische Union mit den nötigen Mitteln ausgestattet werden muss, um ihre Macht in der internationalen Politik auszuspielen.

Der Flugverkehr obliegt nicht den Regeln der Welthandelsorganisation. Auch regeln die Staaten selbst die Bedingungen für Flüge über ihr Territorium und den Zugang zu ihren Flughäfen. Die Europäer verfügten vor diesem Hintergrund über die Weisheit, den Flugverkehr in einer Verordnung aus dem Jahr 2004 zu vergemeinschaften. Davon hängt die Verbindung ab zwischen Europa und dem Rest der Welt, die Mobilität der Bürger, der lautere Wettbewerb in einem wohlorganisierten Binnenmarkt und auch solide wie wettbewerbsfähige Airlines, die sich in einem sicheren und verlässlichen Marktumfeld bewegen.

Neue Akteure machen sich jedoch auf einem Weltmarkt breit, der sich im radikalen Wandel befindet. Die Kommission reagiert darauf mit einem neuen Verordnungsvorschlag, der die internen Regeln der Union reformieren und neue Handelsschutzinstrumente erlauben soll. Künftig soll unlauterer Wettbewerb bestraft werden können, durch Anti-Dumping-Maßnahmen gegen Staaten, die den europäischen Luftverkehrsmarkt als einen großen Jahrmarkt betrachten, wo man leicht riesige Marktanteile gewinnt. Die Kommission gibt damit ein weiteres Beispiel dafür, wie Europa seine angebliche Naivität ablegt. Der amerikanische Präsident hat uns einmal mehr an die Notwendigkeit solcher Maßnahmen erinnert, indem er gerade etwas vom Zaun bricht, was gut und gerne ein neuer Handelskrieg werden könnte.

Der Verordnungsvorschlag der Kommission wird derzeit im Europäischen Parlament in Augenschein genommen. Die Hand des Parlamentsberichterstatters hat bereits einige Male ein wenig gezittert, als er ein "Europa, das sich schützt", aber deshalb noch lange nicht protektionistisch ist, zurückweisen musste. Einige seiner Kollegen nämlich brachten ihr Zögern zum Ausdruck. Sie möchten gerne festhalten an einem altmodischen und beseelten Liberalismus, der nirgendwo anders praktiziert wird und der äußerem wirtschaftlichen Druck nachgibt, der nichts sehnlicher wünscht als ein offenes Europa.

Oftmals wird Europa geschwächt und behindert von gerade jenen, die vorgeben, es zu stärken. Als wäre "wenig Europa" die Voraussetzung seines Erfolgs in der Welt! Doch geht es hier nicht darum, sich daneben zu benehmen und zur neuerlichen Brutalität der internationalen Beziehungen das seinige beizutragen. Es geht um die eigene Existenz unter Voraussetzung geteilter Souveränität, darum, die eigene Macht auszuschöpfen mit all jenen Mitteln, die auch andere internationale Akteure wie selbstverständlich nutzen.

Das Europäische Parlament steht deshalb mit dem Rücken zur Wand. Beschließt es einen weichen Text voller Kompromisse, so geht es den Mitgliedstaaten, die auch noch über den Vorschlag zu entscheiden haben, mit dem schlechten Beispiel eines zaudernden Europa voran. Sollte es jedoch die Weisheit besitzen, all jene Trümpfe auszuspielen, die dem Kontinent einen funktionierenden, von seinen Bürgern geschätzten Luftfahrtsektor sowie einen funktionierenden Binnenmarkt bescheren, so demonstriert es den Europäern seine eigene Nützlichkeit und das Erwachen eines Kontinents, der sich schützt und doch offen bleibt. Diese Lehre betrifft keineswegs nur unsere schönen Flugzeuge!
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