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Europa und die Flüchtlinge: Die Herausforderungen nehmen zu

 Wenn die öffentliche Empörungswelle, die auf die Bilder von erschöpften Flüchtlingen bei der Überfahrt über das Mittelmeer nach Europa folgte, eines bewirkt hat, dann dass sie die Europäer an das Grundrecht auf Asyl erinnert hat. Es ist nicht nur ein Recht, das fest in den europäischen Verträgen verbürgt ist, sondern es ist auch eine moralische Pflicht. Viele Länder haben mit ihrer Großzügigkeit gegenüber Flüchtlingen den Mangel an Voraussicht und die Inkompetenz ihrer Regierungen wenigstens teilweise vergessen lassen. Bis zum heutigen Tage verschließen die Regierungen Europas noch immer ihre Augen vor dem Unglück, das sich tagtäglich vor ihren Grenzen abspielt: 20,000 Personen sind seit dem Jahr 2000 gestorben. Allein seit Januar diesen Jahres waren es 2,800. Die Krise kam also nicht überraschend.

Die europäischen Institutionen haben das Drama dagegen zumindest teilweise kommen sehen. Sie haben versucht auf ihren Gebieten die notwendigen Antworten zu geben.


Nach den verständlichen Emotionen, die sich in der unmittelbaren Hilfsbereitschaft zeigen, ist es jetzt an der Zeit für konkrete Antworten.


Das heißt, dass die gesamte Außen- und Verteidigungspolitik auf den Prüfstand muss, was sicherlich einigen Mut erfordern wird.


Europa und seine Mitgliedsstaaten können nicht einfach nur da sitzen -  ohne auf das andauernde Chaos im Süden zu reagieren. Konflikte, Bürgerkriege und Armut sind mehr denn je auch unsere Probleme. Wir dürfen unsere Augen davor nicht verschließen.


Asyl und Offenheit sind Pflichten Europas. Aus politscher Sicht dürfen wir aber nicht einen Teil der öffentlichen Meinung ignorieren. In vielen Teilen Europas führt der "Egoismus der Wohlstandsbewahrer", befeuert von Populismus, zur Ablehnung von Flüchtlingen. Das Scheitern der Integrationspolitik hat einiges dazu beigetragen. In Gesellschaften, die sich im Umbruch befinden, befördern ein laxer Umgang und falsch verstandene Toleranz oftmals nur noch die Ängste und Abgrenzungsbestrebungen.


Schon allein rein technisch betrachtet stellen uns die Flüchtlingsströme vor gewaltige Herausforderungen. Es ist einfach Regierungen, die angesichts der großen Anzahl an Flüchtlingen erheblich unter Druck geraten sind,  für ihr nicht selten mangelhaftes Krisenmanagement zu kritisieren. Schwieriger ist es dagegen selbst Lösungsvorschläge vorzubringen.


Wie sollen wir diejenigen, die vor dem Schrecken des Krieges fliehen, aufnehmen ohne gleichzeitig Anreize für andere zu schaffen? Die logische Konsequenz wäre dann nämlich die kriegsgeplagten Länder komplett zu entvölkern und so die Zahl der Flüchtlinge zu vervielfachen.


Wie können wir die Bewegungsfreiheit - eine der Grundbestandteile des europäischen Projekts und in Zeiten der Globalisierung kaum mehr wegzudenken - sowie unsere Humanität bewahren?


Es ist ein Paradox, dass Güter, Dienstleistungen und Kapital frei durch die Welt zirkulieren können, die Freiheit von Menschen aber beschnitten wird. Noch nie wurden so viele Mauern, Barrieren und Zäune geschaffen wie in der Wirtschaftswelt von heute. Und noch nie gab es so viele Menschen auf der Flucht. 42,000 entscheiden sich täglich dafür ihr Land zu verlassen. 2011 waren es noch 11,000!


Noch nie haben so viele Menschen buchstäblich mit "ihren Füßen" für ein Europa abgestimmt, das die Europäer selbst immer nur schlecht reden. Ein Sehnsuchtsort von außen und Quelle der Verzweiflung von innen - ist dies das Schicksal des Kontinents? Es gibt aber auch Lichtblicke. Wurde es noch vor kurzer Zeit für sein Vorgehen in der griechischen Schuldenkrise heftig gescholten, so hat Deutschland nun die Ehre des Kontinents mit seiner Antwort auf die Flüchtlingskrise und seiner Großzügigkeit gerettet. Einige scheinen in Europa die Lektionen der Geschichte besser gelernt zu haben als andere!


Wir sollten es aber nicht mit dem Stückwerk der jetzigen Situation bewenden lassen.


Dank dem persönlichen Engagement von Jean Claude Juncker geht der neue Plan der Europäischen Kommission in die richtige Richtung. Ohne das mutige und aktive Mitwirken der Mitgliedsstaaten geht er aber nicht weit genug. Und wenn 28 Mitgliedsstaaten es nicht zusammen schaffen können, dann müssen einige vorangehen. Auf diese Weise wurde die Integration bisher immer vorangetrieben.


Eine gemeinsame Asylpolitik ist notwendig. Aber bevor wir soweit sind, sollten wir erst einmal die Bedingungen bei der Aufnahme von Flüchtlingen harmonisieren: Die gleichen Sozial- und Arbeitsrechte, die gleichen Integrationsverpflichtungen und Gesetze müssen für alle gelten.


Eine koordinierte Migrationspolitik, noch bevor diese "einheitlich" geregelt wird, kann dabei helfen die verschieden Situationen (auf dem Arbeitsmarkt und bei der Integration) zu berücksichtigen. Wir müssen uns auch auf gemeinsame Verfahren bei der Asylantragsstellung und der Rückführungspolitik verständigen. Mit  dem Dublin Abkommen hatten sich die Mitgliedsstaaten noch geweigert ihre Kompetenzen auf diesem Gebiet abzugeben. Die Last mussten alleine die Staaten an der Außengrenze Europas tragen. Diese Politik ist gescheitert.


Auch Frontex könnte viel effektiver Arbeiten leisten, hätte es nur die Zuständigkeiten dafür. Die Agentur ist dazu gedacht, die Rettung, Aufnahme und Bestimmung der Fluchtgründe für die EU zu koordinieren. Ohne die Möglichkeit Waffengewalt anzuwenden, kann Frontex aber die Sicherung der Grenzen nicht übernehmen.


Um das jetzt und in den nächsten Jahrzehnten leisten zu können, müssen dazu bereite Mitgliedsländer die notwendigen polizeilichen, juristischen und militärischen Mittel zur Verfügung stellen. Der gemeinsame Kampf gegen Terrorismus, Schleuserbanden und alle anderen Arten von Bedrohungen ist jetzt das Gebot der Stunde.  Wäre es etwa möglich, dass einige wenige Staaten mit der finanziellen Unterstützung der anderen Länder diese Aufgabe übernehmen?


In der Tat braucht es eine Reihe diplomatischer und militärischer Initiativen, um den Flüchtlingsstrom in den Griff zu bekommen. Für die Stabilisierung Europas ist diese Aufgabe unerlässlich. Genausowenig können wir nur die Folgen abmildern: Wir müssen auch die Ursachen bekämpfen.


Diplomatie ist dabei nur hilfreich, wenn sie von einer glaubwürdigen Militärpolitik unterstützt wird. Und in dieser Hinsicht ist Europa mehr denn je gespalten und unfähig. Wollen wir uns einfach so der Lösung in Syrien fügen, die uns andere große Welt- und Regionalmächte aufgezwungen haben? Sind es Russland und die USA, welche die Krise beenden werden?


Ob man es will oder nicht, die Frage nach der Macht Europas muss dringend gestellt werden.
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