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Weihnachten mit dem Euro

Entgegen aller Kassandrarufe, apokalyptischen Vorhersagen und einschlägigen Gutachten feiern wir Weihnachten 2011 mit dem Euro!

Dies wird auch 2012 der Fall sein und ebenso in den folgenden Jahren. Die ruhigere Zeit während des Jahreswechsels sollte dazu genutzt werden, eine längerfristige Bewertung Europas und der europäischen Wirtschaft vorzunehmen, die bestandskräftig ist und über eine bloße Infragestellung angesichts der „öffentlichen Schuldenkrise“ hinausgeht.

Es ist Zeit anzuerkennen, dass Europa über ausreichend Mittel und zunehmend auch über den entsprechenden Regierungswillen verfügt, die öffentlichen Schulden zu begleichen. Die Vielzahl an Verhandlungen, Versammlungen und Gipfeltreffen ließ berechtigte Zweifel hieran aufkommen, es wurden jedoch Entscheidungen getroffen, die bis vor kurzem noch unmöglich schienen. Europa gibt sich eine Wirtschaftsregierung, die bislang fehlte und für die es bisher kein Vorbild gibt.

Manche hätten sich einen größeren Schritt in Richtung Föderalismus gewünscht; die Geschichte, die Demokratie und die politische Agenda folgt jedoch ihren eigenen Notwendigkeiten, die es zu akzeptieren gilt…

Keiner sollte jedoch daran zweifeln, dass es eines Tages einen europäischen Finanzminister geben wird, ebenso wie einen gemeinsamen Haushalt, der um das zehnfache größer sein wird als heute und eine unabhängige Zentralbank. Die Europäische Union hat sich auf den Weg gemacht. Welche Politik wird sie in Zukunft verfolgen?

Die europäische Wirtschaft lehnt eine Geldmarktpolitik mit der Notenpresse ab, da dieser Weg unweigerlich zum Scheitern führen würde. Ebenso folgt sie nicht der reinen Lehre von Keynes, die Wachstum allein durch Steigerung der öffentlichen Ausgaben und Ankurbelung der Binnennachfrage herstellen will. Eurobonds und die Verschuldung der Zentralbank wären zum jetzigen Zeitpunkt ein Fehler für Europa, dessen Reichtum – als weltweite Nr. 1 – auf einer gesunden Wirtschaft basiert, auf Spitzentechnologie, auf Unternehmen mit Weltmarktführung, auf einer gut ausgebildeten Bevölkerung, auf einem funktionierenden öffentlichen Dienst und einer einmaligen Lebensqualität.

Der Reichtum Europas liegt in seinem über die Jahrhunderte erworbenen Know-how und im technischen Fortschritt: Über 90% der Erfindungen, die heute den Alltag der Menschen bestimmen, stammen aus Europa, vom Automobil bis zum Hubschrauber oder dem Internet, über die Entdeckung von Viren bis zur In-Vitro-Befruchtung. Fast die Hälfte des weltweiten Handels ist in Europa konzentriert, hier basiert Produktion auf Innovation zum Wohle einer modernen sozialen Marktwirtschaft. Sicherlich sind die Sozialabgaben hier höher als anderswo, allerdings werden sie mit großer Mehrheit von der Bevölkerung gebilligt; dies ist entscheidend, denn alle Bürger fordern früher oder später eine Teilhabe an Wohlstand und Reichtum. Europa ist die Region in der Welt, wo die Ungleichheiten am wenigsten zugenommen haben, sogar während der Krise; Europa ist der Kontinent der Stabilität, ein unschätzbarer Trumpf für die kommenden Jahre. Im weltweiten Wettbewerb, der überall wütet, hat Europa daher mehr Chancen als andere.

Sicherlich muss Europa sich schnell anpassen und bereit sein für mehr Integration. Hier stehen wir erst am Anfang. Der Weg wird zu einer strikteren Ausgabenpolitik führen – doch Europa weist die geringsten Haushaltsdefizite unter den reichen Ländern auf - , der Weg wird darüber hinaus zu einem unvermeidlichen Schuldenabbau führen – doch Europa ist bezogen auf sämtliche Industrieländer am geringsten verschuldet - , und zu neuen Anstrengungen für höhere Produktivität – die notwendig ist und Europa nutzen wird. Neues Wachstum muss erreicht werden.

Europa hat alle Möglichkeiten in Bezug auf seine Beziehungen zur übrigen Welt: Die Europäische Union ist der größte Exporteur weltweit und der größte Geber von Entwicklungshilfe mit einem Anteil von insgesamt 65%. Intern kann es seine Ressourcen besser verwalten (340 Milliarden Euro an Strukturfonds) und den einheitlichen europäischen Wirtschaftsraum vollenden (den größten weltweit). Es kann seine gemeinschaftlichen Verwaltungsstrukturen verbessern, die oft zu technisch und manchmal zu förmlich sind; es kann die Zukunftstechnologien fördern und sich auf das Wesentliche konzentrieren; Europa besitzt die Voraussetzungen für nachhaltiges Wachstum, das auf soliderer Basis steht als das Wachstum der Schwellenländer, die momentan lediglich aufholen müssen.

Europa muss nur ein Hindernis überwinden: den fehlenden Glauben an sich selbst.

Wie können die Finanzmärkte von der Ernsthaftigkeit der europäischen Absichten überzeugt werden, wenn wir selbst nicht daran glauben? Mit ein bisschen Abstand und unter genauerer Betrachtung der kürzlich getroffenen Beschlüsse sind die fantastischen Möglichkeiten Europas klar ersichtlich.

Nichts rechtfertigt das Gefühl des Niedergangs, das überall vorzuherrschen scheint. Jeder sollte das Mögliche tun, um mehr Zuversicht zu verbreiten und an den einmaligen bereits zurückgelegten Weg Europas erinnern, der es legitim erscheinen lässt, optimistisch in die Zukunft zu blicken.



Frohe Weihnachten!

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