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Der Mittelmeerraum wartet auf Europa

Im Gegensatz zur verbreiteten Ansicht ist die Europäische Union im Mittelmeerraum sehr präsent. Sie widmete dieser Region von 2007 bis 2010 drei Viertel der 5,6 Mrd. Euro des Europäischen Nachbarschafts- und Partnerschaftsinstruments. Dieselbe Summe wird sie ihr zwischen 2010 und 2013 gewähren. Die Direkthilfen für die 10 Länder des südlichen Mittelmeerraums betragen 3 Mrd. Euro. Zu diesen Summen kommt der enorme Beitrag der Europäischen Investitionsbank (EIB) hinzu, welche ca. 8,5 Mrd. Euro zwischen 2002 und 2008 geliehen und erklärt hat, dass sie in der Lage sei, den Infrastrukturen der Region 300 Mio. Euro bis 2030 zu widmen. Außerdem investieren die Mitgliedstaaten stark in die bilaterale Hilfe für die Staaten und Bevölkerungen des Mittelmeerraums. Frankreich steht dem in nichts nach und gibt 700 Millionen Euro pro Jahr für die Unterstützung der Regierungsführung, die wirtschaftliche Entwicklung, die Zivilgesellschaft, die Gesundheit und die Bildung aus. Darüber hinaus ist Europa über die beiden bescheidenen Missionen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, aber vor allem über die fünf UNO-Missionen von der Westsahara bis zu den Golanhöhen sowie im Libanon und auf Zypern präsent, wenn auch nur über ihre fünf größten Beitragszahler (Vereinigtes Königreich, Frankreich, Deutschland, Italien, Spanien), für welche die Kosten somit auf 235 Millionen Euro pro Jahr ansteigen. 

Warum hat Europa dann also das Gefühl, dass es den Anforderungen der aktuellen Ereignisse nicht gewachsen ist?

Wahrscheinlich weil die Hilfsprogramme, die im Allgemeinen durch die Einhaltung der Menschenrechte und der Rechtsstaatsregeln bedingt sind, zerstreut und nicht ausreichend strategisch geplant bzw. in konkrete Aktionen umgesetzt werden. Aber sicherlich auch, weil ihnen ein überzeugendes Erscheinungsbild fehlt, welches eine Botschaft zuerst für die Völker und anschließend für die Regierungen bedeuten würde. 

Es ist sicherlich nicht einfach, das Ausmaß der Welle zu messen, welche die nicht-demokratischen Regime mitreißt. Zu der dauerhaften Abwesenheit von bürgerlichen Freiheiten, die ohne Reformen und Entwicklungsperspektiven unerträglich geworden ist, kommen die offensichtlichen Ungleichheiten hinzu, die durch die Korruption genährt werden. Die zahlreichen Jugendlichen in diesen Ländern, die sich der großartigen Veränderungen in der Welt bewusst sind und moderne Kommunikationstechnologien benutzen, ertragen es nicht länger, sich an den Fortschritten, die von immer mehr Personen geteilt werden, nicht selbst beteiligen zu können. Die Jugend bevorzugt die Unsicherheit hinsichtlich revolutionärer Umstürze gegenüber dem hoffnungslosen Status Quo. Dies ist nicht ohne Gefahr, aber es ist nunmehr eine Tatsache und es hat die Welt überrascht. 

Für Europa, den Kontinent des Friedens und der Freiheit, das trotz der Krise reich und wohlhabend ist, ist die Herausforderung immens, wie sie es übrigens auch in der ganzen westlichen Welt ist. Aber es existiert keine Alternative: Europa muss sich auf die Seite derer stellen, die die Demokratie, die Einhaltung der Menschenrechte und des Rechtsstaats fordern. Wenn Europa dies nicht tut, würde es seinen elementaren Pflichten nicht gerecht werden, denn dies ist seine Gründungsbotschaft. 

Es liegt an Europa, mutig Partei für diejenigen zu ergreifen, die nach einer Demokratie streben, und die Freiheiten zu fördern, indem es seine Hilfen auf konkrete Projekte konzentriert, welche den wirtschaftlichen Aufschwung in den Mittelmeerländern unterstützen könnten. Europa sollte nicht vor Angst gelähmt sein, sondern denjenigen, die in ihm oft nur ein Vorbild sehen, ein willkommenes Gesicht zeigen. 

Die Inspiration der Mittelmeerunion war die richtige, auch wenn ihre Umsetzung schwierig war. Ein großer Teil der europäischen Geschichte, die oft durch ihre Umgebung beeinflusst wurde, findet ihren Ursprung an den Ufern des Mare Nostrum.  

Es gibt keine dauerhafte Zukunft für das europäische Aufbauwerk ohne einen wohlhabenden und demokratischen Mittelmeerraum – ein erster Schritt in Richtung eines stabilen Afrikas.
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