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Die Türkei und die Europäische Union : ein gravierender strategischer Fehler

Der 11. September 2010 markierte einen wichtigen Wendepunkt in den Beziehungen zwischen der Türkei und der Europäischen Union. Über ihren Außenminister hat die Türkei das europäische Angebot abgelehnt, zusammen über die wichtigen strategischen Fragen der Welt zu sprechen. Sie hatte zuvor gefordert, dass das EU-Beitrittsverfahren beschleunigt wird, indem Gesichtspunkte ihrer Politik, die einen Beitritt verhindern, „ignoriert“ werden – wie beispielsweise die militärische Besatzung in einem Teil Zyperns. 

Die aufkommende Krise zwischen den 27 EU-Mitgliedstaaten und ihrem asiatischen Nachbar lag schon lange in der Luft. Alleine die Idee eines Beitritts der Türkei ist so absurd, dass es anders nicht zu erwarten war. Mit dem Verfassungsreferendum vom 12. September wurde der Beitritt wieder für türkische innenpolitische Zwecke instrumentalisiert, um die schwierige Modernisierung eines Landes voranzutreiben.Dies zeigt, dass die Union mehr Einfluss besitzt, als sie selber glaubt!

In einer Zeit, in der Europa mit dem Vertrag von Lissabon und mit einem gemeinsamen auswärtigen Dienst seinen Einfluss in der Welt zu entfalten beabsichtigt, ist die Außenpolitik der Türkei mit den europäischen Interessen fast unvereinbar geworden. 

Die Türkei hat das Recht auf ihre Außenpolitik. Und sie verzichtet nicht darauf. Als „Brücke zwischen Asien und Europa“, wie sie sich definiert, die besorgt ist, dass sie „keinen Feind an ihren Grenzen“ hat, obwohl sie diese lange angehäuft hat, entwickelt sie nunmehr eine Politik, die v. a. von der öffentlichen Meinung, ihrer Nachbarschaft und ihren Handelsinteressen bestimmt ist, und die sie von den Fehlern nach dem Zweiten Weltkrieg distanziert. Um sich in das europäische Bündnis wieder einzugliedern, dessen „kranker Mann“ die Türkei lange war, musste sie die Isolation vermeiden, dem Kommunismus Einhalt gebieten, ihre Armee modernisieren, was sie auch dank Amerika, der NATO und der EU tat.

Für die führenden türkischen Politiker ist diese Zeit nun vorbei. Sie vermehren die Abkommen und Besuche in Syrien, im Iran und im Sudan und stehen mit extremistischen islamischen Organisationen in Kontakt. Es scheint nunmehr besser zu sein, ein Anführer des muslimischen Stolzes zu sein als ein Beispiel des laizistischen Islams. Sie haben das Lager gewechselt. Dies erklärt auch, warum die „Gaza-Flotte“ von der türkischen Regierung ermutigt, unterstützt und gefeiert wurde - obwohl sie von einer NRO organisiert wurde, die mit der Hamas verbunden ist, die in Europa als terroristische Organisation betrachtet wird, und von den muslimischen Brüdern, was vielleicht noch schlimmer ist. Sie hat somit dem Bild von Israel Schaden zugefügt, was auch ihr Ziel war. Dies erklärt auch, warum die Türkei im UN-Sicherheitsrat gegen Europa und die Vereinigten Staaten gestimmt hat, welcher Iran Sanktionen auferlegt hat, und warum sie den Präsidenten des Sudans unterstützt, der vom internationalen Gerichtshof verfolgt wird. Es erklärt außerdem, warum türkische Soldaten nicht das Recht haben, in Afghanistan zu kämpfen, und warum die Organisation der Islamischen Konferenz, dessen Sekretariat von der Türkei geleitet wird, und die arabische Liga, deren Beobachter sie ist, so wichtig für die türkische Diplomatie sind. 

Aus der Sicht der Türkei ist diese Politik erklärbar, aber sie hat nichts mit den europäischen Interessen zu tun, die sie immer mehr stört. Gewiss ist die Union über den Beitritt der Türkei geteilt, der im Allgemeinen von den neueren Mitgliedern oder von kleinen Ländern ermutigt wird, also von Ländern, die es sich nicht vorstellen können, dass die Union eine politische Macht besitzen könnte. David Cameron und William Hague, Carl Bildt und Martti Ahtisaari, José-Luis Zapatero und all diejenigen, die eine falsche Idee von der europäischen Außenpolitik haben, und die tatsächlich beteuern, dass die Türkei den Einfluss der Union steigern würde, befürchten in Wirklichkeit die Erpressung oder den Boykott der Türkei, und stellen sich den Vertretern der Gründerväter entgegen. 

Diese Vertreter sind – im Gegensatz zu Behauptungen – nicht durch innenpolitische Erwägungen motiviert, obwohl nunmehr die Mehrheit der Europäer diesen EU-Beitritt nicht mehr möchte. Sie sind die Hüter des ursprünglichen Europas, das sich dazu berufen fühlt, immer politischer und vereinter zu werden, und das danach strebt, eine wichtigere Rolle in der Welt zu spielen. Jeder weiß, dass die Union Dichte braucht, und keine Auflösung. 

Da die führenden europäischen Politiker in der Vergangenheit niemals wirklich daran geglaubt haben, haben sie einen gravierenden strategischen Fehler begangen, indem sie den Beitritt einem instabilen Partner angeboten haben, einem Land, das seine Identität sucht, anstatt ihm eine strategische Partnerschaft anzubieten, die der einzige Beweis gemeinsamer Interessen darstellt. Dies ermöglicht es Ankara heutzutage, den Türken einzureden, dass Europa sie nicht will, obwohl Europa einen wirklichen Dialog und echte Bündnisse über globale Fragen möchte. Dies stellt jedoch keine Priorität der Türkei dar. Die Türkei möchte wieder den Status einer Regionalmacht erlangen, die auf der internationalen Bühne wichtig ist, auch wenn sie noch nicht bewiesen hat, dass sie bereit ist, den Preis dafür zu zahlen, z. B. einige Opfer im Namen des Gemeinwohls und im Sinne von internationaler Verantwortung zu bringen. Schließlich sind die Beendigung des Völkermords im Darfur, der vom türkischen Premierminister bestritten wird, die Verhinderung der Rückkehr der Taliban oder die Verhütung der nuklearen Verbreitung Anlässe, die eine größtmögliche Unterstützung verdienen. 

In Washington wie auch in Berlin, Paris, Den Haag, Wien, Budapest und in allen verantwortungsvollen Hauptstädten stellt man sich Fragen über die Entwicklung der Türkei. Die Ergebnisse des Referendums über die neue Verfassung werden die Bedenken sicher noch verstärken. 

Um schwierige Krisen zu vermeiden, um endlich ihren internationalen Ambitionen gerecht zu werden, muss die Europäische Union schnellstmöglich diesen großen Fehler korrigieren, indem sie die Beitrittskandidaten dazu verpflichtet, sich ihrer Außenpolitik anzupassen. Denn jeder Aufschub macht den Fehler kostspieliger.

 




 

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