fr en de
portrait

Welche Antworten gibt es auf den Erfolg der Euroskeptiker?

Populistische Parteien in Europa konnten im Laufe der fortschreitenden Krise immer mehr Anhänger gewinnen. Als Hintergrund oder Folge hiervon ist festzuhalten, dass die Hälfte der 28 EU-Mitgliedstaaten von Koalitionen regiert wird, die übrige Hälfte von 7 linken Regierungen und von 8 rechten Regierungen. Auch das neue EU-Parlament wird von diesem Koalitionsgeist bestimmt werden. Die großen demokratischen Formationen werden gezwungen sein, zusammen zu arbeiten, um das Funktionieren des Parlaments zu gewährleisten und um ihm Gewicht gegenüber dem europäischen Rat (bestehend aus den Staats- und Regierungschefs) zu verleihen, entsprechend dem Wunsch der Abgeordneten. Der Rat wird den neuen EU-Kommissionspräsidenten ernennen. Die populistischen Parteien haben überall Zulauf; es gibt diverse Ausformungen, aber die Hintergründe ihres Erfolgs scheinen stets gleich zu sein.

Die europäischen Staaten stehen aufgrund der Erschütterungen durch die Globalisierung unter starkem Anpassungsdruck, die Anpassungen sind schmerzhaft und der zu zahlende politische Preis ist hoch. Die Finanzkrise hat den Finger in die Wunden gelegt: Verschuldung, exzessive öffentliche Ausgaben, schlecht verwaltete Sozialabgaben. Bei nationalen Wahlen in den Mitgliedstaaten erringen überall linke oder rechte Protestparteien Erfolge, dies gilt für sämtliche Teile der Union, angefangen von Nordeuropa über Ost- bis Südeuropa. Zuwanderung, Arbeitslosigkeit und mangelnde Sicherheit rufen Ängste hervor und motivieren zum Rückzug oder zum Aufflammen von Nationalismus und Abgrenzung.


Anlässlich der Europawahlen hat sich diesen populistischen Strömungen eine altbekannte, latent vorhandene Europafeindlichkeit hinzugefügt, ebenso wie eine Kritik an der Union angesichts einer ungenügenden Steuerung während der Krise. Die Gründe für diese Allianz liegen zunächst auf nationaler Ebene, wo auch Regierungswechsel nichts an der Tatsache ändern können, dass die öffentlichen Haushalte in Ordnung gebracht werden müssen. Egal ob linke oder rechte Mehrheit, es müssen dringend die Schulden und Defizite abgebaut werden, auch wenn andere Versprechungen gemacht wurden. Die Regierungen wollen dies nicht zugeben und es kommt ihnen gelegen, dass sie vorgeben können, „Europa“ zwinge sie dazu. Die europäischen Institutionen sind zudem die idealen Ziele für Anfeindungen der „Sparpolitik“ und allen Übels, das in Wahrheit auf Versäumnissen auf nationaler Ebene beruht. Es gäbe viel zu sagen bezüglich der nationalen Steuerung, nationaler Entscheidungen und nationaler Kommunikation.


Dies ist jedoch eine Debatte, die in Europa nicht geführt wurde und insbesondere nicht in Frankreich. Der Wahlkampf für die Europawahlen bot wie gewohnt Gelegenheit zur Verbreitung von Fantasiegeschichten (für oder gegen den Euro), er war Gelegenheit für die gewohnte Litanei an Reformvorschlägen, die einen intelligenter als die anderen (Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten, „Wir brauchen mehr Europa“), von denen die Franzosen nichts mehr hören wollen und an die sie nicht mehr glauben. Es ist eine französische Besonderheit, dass nur alle fünf Jahre über Europa gesprochen wird und sonst nie und sich dann Argumente um die Ohren zu schlagen, die vor 20 Jahren aktuell waren. Die Abgeordneten, die am Sonntag gewählt wurden, haben nicht die Kompetenz, die Verträge zu ändern oder den Euro neu zu erfinden. Stattdessen hätten zahlreiche präzisere und konkretere Themen erörtert werden können. Es muss Nicolas Sarkozy und einigen wenigen anderen zugute gehalten werden, dass sie dies versucht haben und zwar auf einem angemessenen Niveau, allerdings wurde Sarkozys Artikel allein als politischer Schachzug interpretiert.


Die EU-Kommission muss sich reformieren, in Bezug auf ihre Organisation wie auch bezüglich der Umsetzung ihrer Politik. Sie benötigt eine klar umrissene Exekutive, die entscheiden und Prioritäten festlegen kann, die die Verträge auf intelligentere Art auslegt und die nach dem Transparenzprinzip handelt, wenn dies notwendig ist und die Vorbehalte der Mitgliedstaaten überwinden kann, insbesondere in den Bereichen, in denen sie noch lange auf die Kompetenz der Nationalstaaten angewiesen sein wird (Außen- und Verteidigungspolitik).


Der Rat, muss als Vertreter der Mitgliedstaaten die Transparenz der Entscheidungen garantieren, um hierdurch die fehlende Verantwortungsübernahme für europäische Entscheidungen auf nationaler Ebene auszugleichen.


Zur Stärkung seiner Legitimität muss das EU-Parlament selbst seine mangelnde Repräsentativität korrigieren, so dass jeder europäische Bürger gleichermaßen repräsentiert wird, was heute nicht der Fall ist. Das Parlament muss zudem dafür sorgen, dass es keinen weiteren Zuwachs an Reglementierung gibt, da wir bereits unter zu starker Reglementierung leiden, die als eine der elaboriertesten weltweit gilt. Gute Gesetzgebung bedarf kurzer und auf starken Prinzipien basierender Texte, die nicht bis ins letzte Detail ausformuliert werden müssen. Gute Regulierung heißt nicht immer Verbote, zuerst kommt das Verstehen und oft genügt eine Argumentation, die überzeugt.


Den Herausforderungen aufgrund der Zunahme an Euroskeptikern müssen sich somit die Mitgliedstaaten und die europäischen Institutionen stellen. Die Regierungen der Nationalstaaten müssen ihren Bürgern die Wahrheit sagen bezüglich notwendiger Reformen, zu denen sie sich verpflichtet haben, selbst wenn sie deswegen die Macht verlieren werden. Die europäischen Institutionen benötigen einen Fahrplan, der Prioritäten festlegt, mit einer Agenda, die beispielsweise eine Annäherung in Steuerfragen beinhalten kann und warum nicht auch in sozialen Fragen. Eine solche kann nur von den Mitgliedstaaten selbst ausgearbeitet werden, falls nicht anders möglich durch einige von ihnen und selbstverständlich denkt man hier zuerst an einen Vorschlag Frankreichs und Deutschlands, offen für alle übrigen Mitgliedstaaten. Dies bedeutet, dass die Wahrheit gesagt werden muss, dass man zu seiner Wahl stehen muss, zuerst zuhause, bevor die Verantwortung geteilt werden kann. Dies bedeutet auch, dass die europäischen Institutionen schneller und politischer reagieren müssen. Dies sind nur einige Bedingungen für eine wirksame Antwort auf Zweifel und Politikverdrossenheit und vielleicht auch für einen europäischen Neustart.


signature