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Frankreich-Deutschland, das unabdingbare Bündnis

Jede neue Regierung, in Deutschland wie in Frankreich, fragt sich zunächst, welche Gründe es gibt, weiterhin in eine enge Zweierbeziehung zu investieren und den privilegierten Dialog dieser in Europa einmaligen Partnerschaft fortzuführen. Jacques Chirac, Gerhard Schröder, Nicolas Sarkozy schienen sich zunächst Richtung London zu orientieren. François Hollande, der sich immer noch im Wahlkampf befindet, hofft, mit Hilfe anderer Mitgliedstaaten und der europäischen Institutionen eine Änderung der deutschen Positionen herbeiführen zu können. Er hofft vergebens. Wie jedes Mal werden die europäischen Entscheidungen auf einer Einigung zwischen Deutschland und Frankreich basieren. Warum ist dies so?

Im Europäischen Rat gibt es keine Mehrheit ohne eine Einigung zwischen Deutschland und Frankreich. Im Falle einer Einigung ziehen sie die anderen Partner mit sich, die die gleiche Vision und die gleichen Interessen haben. Auf diese beiden bevölkerungsreichsten Länder der Union entfällt fast die Hälfte der kontinentaleuropäischen Wirtschaftsleistung und 47% der 394 Milliarden Euro an Hilfsgeldern für Griechenland, Irland und Portugal (27% von Deutschland, 20% von Frankreich). Ohne eine Einigung zwischen den beiden Ländern gibt es keine Lösungen, insbesondere in Notfallsituationen. Einfluss und Kapazitäten beider Länder sind in vielen Bereichen komplementär.

Bilden Frankreich und Deutschland somit das Direktorium Europas?

Nein, denn die Positionen beider Länder stimmen selten völlig überein und erst nach intensiven Diskussionen können Kompromisse gefunden werden, die im Allgemeinen nah bei dem liegen, was für alle Mitglieder der Union akzeptabel ist. Aus diesem Grund wurde
2001 in der kleinen elsässischen Stadt Blaesheim entschieden, dass sich beide Länder regelmäßig vor jedem Europäischen Rat treffen sollen, somit alle sechs bis acht Wochen. Diese Regelung sollte wieder aufgegriffen werden.

Es würde Frankreich nichts nutzen, Deutschland als Verkörperung der „Sparzwänge“ zu isolieren, indem es ihm die Verantwortung für die Ablehnung einer überholten Politik zuschieben würde, die Aufschwung durch Ausgaben fördern will. Deutschland ist nicht das einzige Land in Europa, das der Meinung ist, dass es keine europäischen Anleihen (Eurobonds) zusätzlich zu nationalen Anleihen geben kann ohne eine Vergemeinschaftung der Haushalts- und Steuerpolitik oder zumindest ohne eine enge Abstimmung auf diesem Gebiet. Das informelle Treffen des Europäischen Rates am 23. Mai hat genau dies gezeigt. Es würde auch nichts nutzen, die Hoffnungen, die Frankreich geweckt hat, zu ignorieren, die auf eine europäische Politik gerichtet sind, die näher bei den Bürgern ist, deren Staaten sich in Schwierigkeiten befinden. Nichts kann ohne sie erreicht werden, ein Ignorieren wird lediglich die rechten und linken Populisten stärken.

In den Auseinandersetzungen im Vorfeld des Europäischen Rates am 28. und 29. Juni treten erneut gefährliche Gegensätze an die Oberfläche. Frankreich hat fälschlicherweise das Gefühl, auf Drängen Deutschlands strikte Sparvorgaben einhalten zu müssen, obwohl seit über zehn Jahren diesbezüglich stets der Weg des geringsten Widerstands gewählt wurde. In Deutschland herrscht die Meinung, dass Haushaltsdisziplin die Lösung für alle Probleme ist, da diese Methode im eigenen Land erfolgreich war.

Die aktuellen französisch-deutschen Spannungen zeigen, wie sehr sich beide Länder in den letzten Jahren in gegensätzliche Richtungen entwickelt haben und wie viel besser es für ihre Regierungen, Parlamente, Zivilgesellschaften wäre, verstärkt über ihre Unterschiede in den Bereichen Wirtschaft, Haushalt, Energie, Umwelt, Diplomatie und Verteidigung zu diskutieren, als weiterhin an eine Zauberformel zu glauben.

Beide Staaten haben ihr privilegiertes Bündnis als Basis einer europäischen Einigung zu lange für selbstverständlich genommen. Selbstverständlich haben die deutsch-französischen Beziehungen eine emotionale Seite. Wie könnte es anders sein zwischen zwei Staaten, die dermaßen in Kriegen verstrickt waren, bevor sie sich zu einer auf der Vernunft basierenden Zusammenarbeit durchringen konnten? Die emotionale Komponente genügt jedoch nicht mehr als Kraftstoff für den Motor eines Europas, das weitgehend entscheidungsunfähig geworden ist. Es müssen somit verstärkt nationale Interessen in Einklang gebracht werden. In einem neuen Vertrag im Jahr 2013, 50 Jahre nach Unterzeichnung des Elysée-Vertrags, sollte diesmal weiter gehen und im Detail eine gemeinsame Vision der Zukunft Europas aufzeigen. Dies erfordert sehr viel mehr Arbeit als politische Stellungnahmen.

Für die Zukunft Europas gibt es keine Alternative, weder im Osten noch im Süden. Das deutsch-französische Bündnis ist die Grundvoraussetzung, da es unabdingbar ist. 
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